27.9.2021 | Fachinformation
In den letzten Jahren stellen immer mehr Tierkliniken den (nächtlichen) Notfallbetrieb ein. Als Grund wird oftmals der Fachkräftemangel genannt. Dr. Achim Roll, Chefarzt des AniCura Kleintierzentrums Duisburg-Asterlagen, erklärt diesen Schritt: ‚‚Wir müssen aus Qualitätssicherungsgründen auf den Notfalldienst verzichten, da wir nicht genug Ärzte haben. Schließlich wollen die stationären Patienten ebenfalls vernünftig versorgt werden“.
Notdienst kaum noch umsetzbar
Welche Faktoren können begründen, dass kaum noch (nächtliche) Notdienste angeboten werden?
Wie ist es um die Tierärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland bestellt? Folgende Zahlen liefern einen kurzen Überblick (Stand: 31.12.2020):
• Anzahl der Tierärzt*innen: 43.461, davon weiblich: 27.500
• Nicht (mehr) tierärztlich Tätige: 10.879, davon weiblich: 5.379
• Niedergelassene Tierärzt*innen: 12.001
• Praxisassistent*innen: 9.732
• Praxisvertreter*innen: 344
• Tierarztpraxen: 10.486
• Tierärztliche Kliniken: 181
• Studierende der Fachrichtung Veterinärmedizin im Wintersemester 2020/21: 6.385, davon weiblich: 5.939
• Studienanfänger*innen im Wintersemester 2020/21: 1.119, davon weiblich: 1.001
• Von deutschen Studierenden abgelegte Staatsprüfungen im Jahr 2020: 881 (bestanden), 3 (nicht bestanden)
• Von ausländischen Studierenden abgelegte Staatsprüfungen im Jahr 2020: 41 (bestanden), 1 (nicht bestanden)
An sich ist die Bereitschaft in einem tiermedizinischen Beruf zu arbeiten vorhanden. Jedoch wird die Bereitschaft – wenn überhaupt – von Leidenschaft abgelöst, um den Not- und Schichtdienst zu den jetzigen Bedingungen umsetzen zu können. Denn schaut man sich die Mindestgehaltsempfehlungen für langfristig angestellte Tierärzt*innen des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte e. V. (bpt) an, empfinden viele Mitarbeiter*innen den Lohn nicht als fairen Ausgleich für die geleistete Arbeit. So erhält nach den Empfehlungen eine Tierärztin oder ein Tierarzt in der Anfangszeit ein Bruttomonatsgehalt von 2.565 € auf Grundlage einer 40-Stunden-Arbeitswoche.
Positiver Trend bei Tiermedizinischen Fachangestellten – oder doch nicht?
TFA-Portal berichtete bereits, dass die TFA-Ausbildung immer beliebter würde. Der Verband medizinischer Fachberufe sowie der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) geben an, dass im Jahr 2021 rund 18 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als noch im Vorjahr.
Allerdings gibt es Folgendes zu bedenken: Die Schulabsolvent*innen hatten insgesamt weniger Auswahl, da das Angebot an Ausbildungsplätzen im letzten Jahr bundesweit um elf Prozent sank.
Auch wenn das Gehalt für Tiermedizinische Fachangestellte zum 01. Juli 2021 im Rahmen des Tarifvertrages um vier beziehungsweise drei Prozent erhöht wurde, beklagen viele TFAs weiterhin, dass der Lohn kaum für eine alleinstehende Person ausreicht. Dies führt unter anderem dazu, dass viele Ausgelernte den Beruf wieder aufgeben.
Während der Ausbildung (im ersten Jahr monatliche Vergütung: 700 €) ist eine eigenverantwortliche Lebensführung noch unrealistischer.
Tierärztliche Versorgung von Haustieren am Limit
Die Umsetzung des Notdienstes verschärft sich weiterhin. Doch auch die Versorgung von Patient*innen zu den Sprechstundenzeiten wird immer problematischer. Durch das sehr hohe Patientenaufkommen entstehen Wartezeiten von mehreren Stunden. Auch Spezialleistungen können in der Ambulanz meist nur noch bei akuten Notfällen durchgeführt werden, andernfalls müssen Termine vereinbart oder hohe Wartezeiten in Kauf genommen werden.
Die Anzahl an Patient*innen und tierärztlichen Mitarbeiter*innen steht derzeit in keinem machbaren Verhältnis. Daher sehen sich einige Praxen und Kliniken zu einem temporären Aufnahmestopp gezwungen. Daher sehen sich einige Praxen und Kliniken zu einem temporären Aufnahmestopp gezwungen. So richtete sich zum Beispiel das AniCura Kleintierzentrum Duisburg-Asterlagen in einem Facebook-Posting an Tierhalter*innen und überweisende Tierärzt*innen.
Bei Wartezeiten von mehreren Stunden entsteht oftmals Frust auf Seiten der Tierhalter*innen. Solche und andere Postings plädieren jedoch für mehr Verständnis. Um eine gute medizinische Versorgung leisten zu können, müssen gewisse Maßnahmen getroffen werden. Denn neben Gründen wie dem Fachkräftemangel ist auch der „enorme psychische Druck vonseiten der Tierbesitzer“ am Arbeitsplatz ein ernstzunehmendes Problem, so Viola Hebeler, praktizierende Tierärztin und Mitglied des Öffentlichkeitsausschusses der Tierärztekammer. Oftmals entstehen Konflikte etwa über Behandlungen oder Honorare. Auch „Doctor-Bashing“ im Internet ist keine Seltenheit mehr.
Doch nicht nur das Verständnis der Tierhalter*innen sollte sensibilisiert werden, die Einschätzung eines Notfalls muss ebenfalls besser gehandhabt werden. So finden sich oftmals Tierhalter*innen im Notdienst ein, deren Tier zum Beispiel eine Zecke hat. Sicherlich nimmt man die Sorgen der Besitzer*innen ernst, so der Leiter der Tierklinik Kaiserberg Jan-Gerd Kresken. Doch trägt dies nicht zu einem gut umsetzbaren Notfallmanagement bei. Daher hat sich die Tierklinik am Kaiserberg außerdem dazu entschieden, Terminangebote für Routineuntersuchungen und Operationen zu reduzieren. Auch sie beschließen an Tagen mit hohem Patientenaufkommen einen Aufnahmestopp.
Die Verantwortlichen stellen aber in beiden Fällen klar: „Notfälle werden auf keinen Fall abgewiesen“.
Ein weiterer Grund: Corona-Pandemie
Auch die Corona-Pandemie trägt ihren Teil dazu bei, dass die Kapazitätsgrenzen in Tierarztpraxen und -kliniken erreicht sind. Die aus den Corona-Maßnahmen unter Umständen resultierende vermehrte Zeit oder eingeführtes Homeoffice, hat die Nachfrage nach Haustieren massiv in die Höhe schnellen lassen. Norbert Zajac, Inhaber des Zoo Zajac in Duisburg Neumühl, berichtet, dass im Frühjahr innerhalb von zwei Tagen 84 Hamster verkauft worden seien. Vor Corona seien es lediglich zehn bis 15 Tiere pro Woche gewesen. Der Verband für Deutsches Hundewesen (VDH) berichtet während der Pandemie, dass auf einen Labrador-Wurf rund 120 Kaufwünsche kämen. Und steigt die Nachfrage, so auch das Angebot – und damit der Preis.
Habt Ihr auch schon in Eurer Praxis oder Klinik einen Aufnahmestopp oder andere Regelungen umsetzen müssen?
Juli 2021
Ich arbeite seit 2011 als Tiermedizinische Fachangestellte in einer Tierklinik – ein sehr abwechslungs- und facettenreicher Job, den ich leidenschaftlich gern ausübe. Nach meiner Ausbildung zur TFA studierte ich Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften. Dieser Studiengang ist an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Informatik angelehnt. Zudem bin ich zertifizierte Online Marketing Managerin. Seit 2019 unterstütze ich mit großer Freude die Redaktion der vetproduction. Mir liegt die qualitative Vermittlung von veterinärmedizinischen Inhalten sehr am Herzen.
„Ein einzelnes Tier zu retten verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier!“
Probleme beim Notfalldienst, temporäre Aufnahmestopps und zunehmender Fachkräftemangel
Das TFA-Portal hat die Situation in den Tierarztpraxen analysiert. Wir veröffentlichen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Autorin Julia Korbach (vetproduction GmbH):"Wir arbeiten am Limit"
Derzeit ist es in vielen Tierarztpraxen und -kliniken zu beobachten, dass temporäre Aufnahmestopps ausgesprochen werden. Die Mitarbeiter*innen arbeiten am absoluten Limit und man könne dem Anspruch einer qualitativen, fachkundigen Behandlung nur noch gerecht werden, wenn das Patientenaufkommen eingedämmt wird. Was sind Hintergründe für diese Maßnahme?In den letzten Jahren stellen immer mehr Tierkliniken den (nächtlichen) Notfallbetrieb ein. Als Grund wird oftmals der Fachkräftemangel genannt. Dr. Achim Roll, Chefarzt des AniCura Kleintierzentrums Duisburg-Asterlagen, erklärt diesen Schritt: ‚‚Wir müssen aus Qualitätssicherungsgründen auf den Notfalldienst verzichten, da wir nicht genug Ärzte haben. Schließlich wollen die stationären Patienten ebenfalls vernünftig versorgt werden“.
Notdienst kaum noch umsetzbar
Welche Faktoren können begründen, dass kaum noch (nächtliche) Notdienste angeboten werden?
- Arbeitszeitgesetz: Mitarbeiter*innen, die nachts oder am Wochenende Notdienst leisten, bekommen fast nie die vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden nach einer solchen Schicht. Um Ruhezeiten gewährleisten zu können, müsse es mehr Personal geben.
- Rentabilität und Gehälter: Interessen von Tierhalter*innen werden regelmäßig über das berechtigte Interesse der Praxen und Kliniken gestellt. Tierbesitzer*innen sollen von hohen Kosten nicht davon abgeschreckt werden, eine tierärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Rentabilität und auch Gehälter werden dadurch negativ beeinflusst.
- Work-Life-Balance: Die Tiermedizin wird von weiblichen Angestellten dominiert. Insbesondere Mitarbeiterinnen fordern – in vielen Berufen selbstverständlich – familienfreundliche Arbeitszeiten und besetzen meist Teilzeitstellen.
Wie ist es um die Tierärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland bestellt? Folgende Zahlen liefern einen kurzen Überblick (Stand: 31.12.2020):
• Anzahl der Tierärzt*innen: 43.461, davon weiblich: 27.500
• Nicht (mehr) tierärztlich Tätige: 10.879, davon weiblich: 5.379
• Niedergelassene Tierärzt*innen: 12.001
• Praxisassistent*innen: 9.732
• Praxisvertreter*innen: 344
• Tierarztpraxen: 10.486
• Tierärztliche Kliniken: 181
• Studierende der Fachrichtung Veterinärmedizin im Wintersemester 2020/21: 6.385, davon weiblich: 5.939
• Studienanfänger*innen im Wintersemester 2020/21: 1.119, davon weiblich: 1.001
• Von deutschen Studierenden abgelegte Staatsprüfungen im Jahr 2020: 881 (bestanden), 3 (nicht bestanden)
• Von ausländischen Studierenden abgelegte Staatsprüfungen im Jahr 2020: 41 (bestanden), 1 (nicht bestanden)
An sich ist die Bereitschaft in einem tiermedizinischen Beruf zu arbeiten vorhanden. Jedoch wird die Bereitschaft – wenn überhaupt – von Leidenschaft abgelöst, um den Not- und Schichtdienst zu den jetzigen Bedingungen umsetzen zu können. Denn schaut man sich die Mindestgehaltsempfehlungen für langfristig angestellte Tierärzt*innen des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte e. V. (bpt) an, empfinden viele Mitarbeiter*innen den Lohn nicht als fairen Ausgleich für die geleistete Arbeit. So erhält nach den Empfehlungen eine Tierärztin oder ein Tierarzt in der Anfangszeit ein Bruttomonatsgehalt von 2.565 € auf Grundlage einer 40-Stunden-Arbeitswoche.
Positiver Trend bei Tiermedizinischen Fachangestellten – oder doch nicht?
TFA-Portal berichtete bereits, dass die TFA-Ausbildung immer beliebter würde. Der Verband medizinischer Fachberufe sowie der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) geben an, dass im Jahr 2021 rund 18 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als noch im Vorjahr.
Allerdings gibt es Folgendes zu bedenken: Die Schulabsolvent*innen hatten insgesamt weniger Auswahl, da das Angebot an Ausbildungsplätzen im letzten Jahr bundesweit um elf Prozent sank.
Auch wenn das Gehalt für Tiermedizinische Fachangestellte zum 01. Juli 2021 im Rahmen des Tarifvertrages um vier beziehungsweise drei Prozent erhöht wurde, beklagen viele TFAs weiterhin, dass der Lohn kaum für eine alleinstehende Person ausreicht. Dies führt unter anderem dazu, dass viele Ausgelernte den Beruf wieder aufgeben.
Während der Ausbildung (im ersten Jahr monatliche Vergütung: 700 €) ist eine eigenverantwortliche Lebensführung noch unrealistischer.
Tierärztliche Versorgung von Haustieren am Limit
Die Umsetzung des Notdienstes verschärft sich weiterhin. Doch auch die Versorgung von Patient*innen zu den Sprechstundenzeiten wird immer problematischer. Durch das sehr hohe Patientenaufkommen entstehen Wartezeiten von mehreren Stunden. Auch Spezialleistungen können in der Ambulanz meist nur noch bei akuten Notfällen durchgeführt werden, andernfalls müssen Termine vereinbart oder hohe Wartezeiten in Kauf genommen werden.
Die Anzahl an Patient*innen und tierärztlichen Mitarbeiter*innen steht derzeit in keinem machbaren Verhältnis. Daher sehen sich einige Praxen und Kliniken zu einem temporären Aufnahmestopp gezwungen. Daher sehen sich einige Praxen und Kliniken zu einem temporären Aufnahmestopp gezwungen. So richtete sich zum Beispiel das AniCura Kleintierzentrum Duisburg-Asterlagen in einem Facebook-Posting an Tierhalter*innen und überweisende Tierärzt*innen.
Bei Wartezeiten von mehreren Stunden entsteht oftmals Frust auf Seiten der Tierhalter*innen. Solche und andere Postings plädieren jedoch für mehr Verständnis. Um eine gute medizinische Versorgung leisten zu können, müssen gewisse Maßnahmen getroffen werden. Denn neben Gründen wie dem Fachkräftemangel ist auch der „enorme psychische Druck vonseiten der Tierbesitzer“ am Arbeitsplatz ein ernstzunehmendes Problem, so Viola Hebeler, praktizierende Tierärztin und Mitglied des Öffentlichkeitsausschusses der Tierärztekammer. Oftmals entstehen Konflikte etwa über Behandlungen oder Honorare. Auch „Doctor-Bashing“ im Internet ist keine Seltenheit mehr.
Doch nicht nur das Verständnis der Tierhalter*innen sollte sensibilisiert werden, die Einschätzung eines Notfalls muss ebenfalls besser gehandhabt werden. So finden sich oftmals Tierhalter*innen im Notdienst ein, deren Tier zum Beispiel eine Zecke hat. Sicherlich nimmt man die Sorgen der Besitzer*innen ernst, so der Leiter der Tierklinik Kaiserberg Jan-Gerd Kresken. Doch trägt dies nicht zu einem gut umsetzbaren Notfallmanagement bei. Daher hat sich die Tierklinik am Kaiserberg außerdem dazu entschieden, Terminangebote für Routineuntersuchungen und Operationen zu reduzieren. Auch sie beschließen an Tagen mit hohem Patientenaufkommen einen Aufnahmestopp.
Die Verantwortlichen stellen aber in beiden Fällen klar: „Notfälle werden auf keinen Fall abgewiesen“.
Ein weiterer Grund: Corona-Pandemie
Auch die Corona-Pandemie trägt ihren Teil dazu bei, dass die Kapazitätsgrenzen in Tierarztpraxen und -kliniken erreicht sind. Die aus den Corona-Maßnahmen unter Umständen resultierende vermehrte Zeit oder eingeführtes Homeoffice, hat die Nachfrage nach Haustieren massiv in die Höhe schnellen lassen. Norbert Zajac, Inhaber des Zoo Zajac in Duisburg Neumühl, berichtet, dass im Frühjahr innerhalb von zwei Tagen 84 Hamster verkauft worden seien. Vor Corona seien es lediglich zehn bis 15 Tiere pro Woche gewesen. Der Verband für Deutsches Hundewesen (VDH) berichtet während der Pandemie, dass auf einen Labrador-Wurf rund 120 Kaufwünsche kämen. Und steigt die Nachfrage, so auch das Angebot – und damit der Preis.
Habt Ihr auch schon in Eurer Praxis oder Klinik einen Aufnahmestopp oder andere Regelungen umsetzen müssen?
Juli 2021
Über die Autorin Julia Korbach
Ich arbeite seit 2011 als Tiermedizinische Fachangestellte in einer Tierklinik – ein sehr abwechslungs- und facettenreicher Job, den ich leidenschaftlich gern ausübe. Nach meiner Ausbildung zur TFA studierte ich Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften. Dieser Studiengang ist an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Informatik angelehnt. Zudem bin ich zertifizierte Online Marketing Managerin. Seit 2019 unterstütze ich mit großer Freude die Redaktion der vetproduction. Mir liegt die qualitative Vermittlung von veterinärmedizinischen Inhalten sehr am Herzen.
„Ein einzelnes Tier zu retten verändert nicht die Welt, aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier!“